Daniel Göttin
Vorwort
Daniel Göttin ist mit dem Kunsthaus Baselland eng verbunden. 1998 richtete er hier eine grosse Einzelausstellung ein, in Gruppenausstellungen wie der Regionale taucht sein Name auf, und auch innerhalb der Basler Kunstszene sind sein Name und vor allem seine Person nicht wegzudenken.
Zusammen mit seiner Partnerin Gerda Maise, ebenfalls Künstlerin, betreibt er seit fast zwanzig Jahren den Kunstraum Hebel_121. Beide halten seit Jahrzehnten durch ihre Präsenz an Kunstorten in der Stadt den Kontakt zur aktuellen Kunstszene aufrecht. Der stets offene, neugierige und kluge Blick auf Daniel Göttins Umfeld ist nicht allein mit seinem steten Austausch vor Ort zu erklären. Vielmehr scheint er mit der ganzen Welt verbunden. Regelmässig wird er von internationalen Künstlerkollegen zu verschiedenen Ausstellungen eingeladen, reist mit seiner Partnerin unter anderem nach Japan, hat Ausstellungen in Europa, Australien oder in den USA.
2017 wurde er im Rahmen der Jahresaussenprojekte des Kunsthaus Baselland eingeladen, das grosse Aussenbanner für rund 12 Monate zu bespielen. Ein Kunstraum der besonderen Art – immens in den Ausmassen, 24 Stunden Tag und Nacht präsent im öffentlichen Raum. Es steht die Idee dahinter, Künstlerinnen und Künstler unterschiedlicher Generationen aus der Region Basel für dieses Projekt zu gewinnen und ihnen eine Präsenz zu ermöglichen, die einen längeren Zeitraum beschreibt, als ein Werk üblicherweise in einer Ausstellung zu sehen ist.
Was zeichnet das Projekt aus, das Ausgangspunkt und auch Initialzündung für die vorliegende Publikation war und auf anschauliche Weise das Schaffen und den künstlerischen Prozess von Daniel Göttin wiedergibt? Hinsichtlich Material ist es oft sehr wenig, was der Künstler einem Ort hinzufügt: Mit vornehmlich schwarzem Klebeband wird auf eine vorgegebene Architektur oder einen Gegenstand reagiert. Seine Kunst kann immer und überall entstehen, und die Lineaturen oder auch der Charakter eines Raumes oder eines Objekts werden akzentuiert. Meist arbeitet Daniel Göttin mit dem Vorhandenen, dem er etwas Spezifisches hinzufügt und der Situation dadurch eine spezielle Sichtbarkeit verleiht. Wie Göttin diese besonderen architektonischen Situationen findet, die ihm Ausgangspunkt für Arbeiten und künstlerische Interventionen sind, ist einfach zu erklären: Er sieht sie. Mit wachem Auge begibt er sich auf Spurensuche, zeichnet, fotografiert, plant im Kopf bereits das eine oder andere, sieht Linien, Raster und Systeme, wo andere auf Anhieb vielleicht nur Wände und Böden erkennen. Die Kunst von Daniel Göttin ist daher vielerorts zu Hause und spricht eine internationale Sprache – möglich ist sie immer, überall, 24 Stunden täglich.
Ines Goldbach
Ein Mann mit Berechnungen
Daniel Göttin empfängt mich herzlich in seinem Atelier im Erdgeschoss eines grossen alten Stadthauses in Grossbasel. Mir fällt sofort die riesige Palme auf, die fast in der Mitte des Raumes steht – eine „Notlösung“ zur Überwinterung der Grünpflanze, wobei ich meine gehört zu haben, dass sie nun ihren festen Platz im Zoologischen Garten gefunden hat. Ich kann mir gut vorstellen, wie der Künstler hier an diesem Ort seinen Ideen freien Lauf lässt. Im Eckladen des Gebäudes befindet sich Hebel_121, ein Kunstraum mit zwei grossen Schaufenstern, wo ortsspezifische Projekte internationaler Künstlerinnen und Künstler präsentiert werden. Ein Ausstellungsort, den seine Partnerin, die Künstlerin und Kuratorin Gerda Maise seit 1998 zusammen mit Göttin betreibt.
Der in Basel lebende, aber an vielen Orten – in Europa, den USA, in Australien, Mexiko und Japan – tätige Künstler beschäftigt sich schon seit über 25 Jahren mit konstruktiv-konzeptionellen Ansätzen und ist bekannt für seine systematisch minimale Herangehensweise im Gestalten von Raum. Mit Elementen aus der Industrieproduktion – sogenannten Halbfabrikaten, die er von Hand weiterbearbeiten kann – fügt Daniel Göttin einer räumlichen Situation in präzisen Setzungen etwas hinzu und schafft so zusammen mit dem Vorhandenen etwas Neues. Die Ausgangssituation für die künstlerische Intervention ist wesentlich, damit beides als Resultat zusammenspielt. Die Idealsituation ist geschaffen, wenn die neue (Raum-)Situation als selbstverständlich angesehen werden kann.
Das auf den ersten Blick einem strengen Reglement folgende, oft orthogonal angeordnete und in einem Modell vorgefertigte System besitzt auf überraschende Weise einen grossen Spielraum. So kann es sein, dass sich eine Form oder Farbe während der Installation vor Ort verändert: „Bei einem Auftrag in Australien war in meinen Raumplänen ein Fenster eingezeichnet, nach welchem ich mein Konzept entwickelte. Als ich dort ankam, waren es plötzlich zwei. Ich fand das inspirierend, muss oft bei der Anwendung vor Ort auf die gegebene Situation reagieren und mein System anpassen.“ Das Vorhandene mittels minimaler Eingriffe hervorzuheben und auch zu ergänzen sowie das Ungewollte zu berücksichtigen, sind wichtige Motivationen für den Künstler.
Unser Treffen hat einen guten Grund: Das Kunsthaus Baselland hat das Jahresaussenprojekt 2017 an Daniel Göttin vergeben. Nach Cloud Atlas von Bianca Pedrina (2014), Run von Kilian Rüthemann (2015) und Anstelle von „Gelb“ muss es richtig heissen „Schwarz“ von Matthias Huber (2016) verleiht der Basler Künstler mit SHIFT AND SLOPE (2017) – einem repräsentativen Druck und einer räumlichen Intervention im Aussenraum – dem Kunsthaus Baselland für ein ganzes Jahr einen neuen künstlerischen Akzent. Der grosse Aussenbanner an der Frontseite des Kunsthauses stellt mit seinen 8 x 6 Metern einen Blickfang hin zur Hauptverkehrsader St. Jakob-Strasse dar und strahlt Tag und Nacht in den öffentlichen Raum: Mal dominanter, mal dezenter verzahnt sich das Kunstwerk mit den architektonischen Gegebenheiten und appelliert an die Wahrnehmung der vorübergehenden beziehungsweise -fahrenden Passanten.
Daniel Göttin wählt für die vorgegebene Aussenwand des Kunsthaus Baselland überraschenderweise einen Ausschnitt aus einer Fotografie. Darauf zu sehen sind – vor blauem Himmel – mehrere Stahlträger, die als gewaltige Lineaturen aufwarten. Die rostig anmutenden Balken erinnern an die Linien, die Göttin vielfach in seinen ausgeführten Raumkonzepten einsetzt und die auf der zweidimensionalen Fläche einen Raum generieren. Die Verbindung zu seiner nun gezeigten Fotografie ist daher neuartig und sinnfällig zugleich. Fast meint man, als hebe die bildhafte Konstruktion das Dach des Gebäudes an. Beim intensiveren Betrachten des fotografischen Motivs fällt jedoch auf, dass die vertikal und horizontal verlaufenden Linien verschoben und verzogen sind und nicht mit der vorgegebenen, realen Architektur des Kunsthauses interagieren. Die Stahlkonstruktion wird im Verbund mit der dahinter liegenden Architektur zu einer abgebildeten Skulptur – Fremdkörper und integrativ zugleich. Daniel Göttin, von der Minimal Art und von Dada inspiriert, weckt die Neugier der BesucherInnen, schärft ihre Wahrnehmung und fordert sie dazu heraus, verschiedene Perspektiven einzunehmen.
Es ist aber nicht allein der Aussenbanner, auf den sich Daniel Göttin für sein Jahresprojekt konzentriert hat. In unmittelbarer Nachbarschaft, auf dem Vorplatz des Kunsthaus Baselland, erhält der aufmerksame Flaneur das Gefühl, dass sich einzelne Elemente ganz im Sinne von Göttins Betitelung „verschoben“ haben. Bekannt für seine ortsspezifischen Installationen und Interventionen, bei welchen er Kunst und Alltag zusammenklingen lässt, unterzieht der Künstler die zwölf groben, blockhaften Betonbänke vor dem Eingang des Kunsthauses einem seiner minimalen raumplanerischen Konzepte. Wie dies aussieht, lässt sich noch bis ins Frühjahr 2018 überprüfen. Für Daniel Göttin jedenfalls ist dies „ein künstlerischer Akt, der schon lange notwendig war.“
Patricia Hug
Jahresaussenprojekt 2017 Kunsthaus Baselland: Daniel Göttin
20. März 2017 bis 4. März 2018
SHIFT AND SLOPE, 2017
Digitaldruck auf PVC, 618 x 850 cm
Patricia Hug
*1985 in Basel, lebt in Basel. Studium der Kunstgeschichte, Kommunikationswissenschaft und Medienforschung in Basel und Fribourg. Seit Juni 2016 ist sie als Direktions- und Ausstellungsassistentin am Kunsthaus Baselland tätig. 2017 zeichnet sie als Kuratorin verantwortlich für das Jahresaussenprojekt des Kunsthaus Baselland mit Daniel Göttin.
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